Stellungnahme zum Rahmenvertrag 3

15.10.2020

Sehr geehrte Frau Roth, sehr geehrter Herr Rodenhäuser,

wir beziehen uns auf Ihre Ausführungen und die Präsentation des Verhandlungsstandes zum Rahmenvertrag 3 der letzten Fachgruppensitzung am 12. und 13. August 2020.

Die Landesarbeitsgemeinschaft hält die Verankerung einer Fachkraftquote von 100% für qualifizierte Assistenz im Rahmenvertrag für unabdingbar. Diese lässt sich mit der hohen fachlichen Anforderung gerade in der Einzelfallhilfe gut begründen.

Die Unterstützung bei der selbstbestimmten und möglichst eigenverantwortlichen Entwicklung und Ausgestaltung eigener Lebensentwürfe, erfordert ein hohes Maß an einschlägiger fachlicher Kompetenz. In selbstbestimmten Unterstützungssettings ist häufig eine Strukturierung von Handlungsfeldern erforderlich, zudem möchten wir auf die Anforderung in Hinblick auf die Wirkung von Eingliederungsmaßnahmen („als ursächlich auf eine sozialarbeiterische Intervention rückführbare Differenz eines Zustands im Vergleich zu einem unbeeinflussten Zustand") und die vorzuhaltende Struktur- und Prozessqualität verweisen.

Sehr positiv finden wir den Vorschlag der AG für die Bildung von Überbegriffen, die als nicht abgeschlossene Auflistung für alle Leistungserbringer, unabhängig vom Ort der Leistungserbringung, für Leistungen der sozialeren Teilhabe, größtmögliche Flexibilität bietet.

Nach Maßgabe des Einzelfalls könnte aus unserer Sicht ein Anteil der qualifizierten Assistenz von Nichtfachkräften erbracht werden, dies sollte jedoch nur als „Kann-Möglichkeit" im entsprechenden Rahmenvertrag angegeben werden. Zusätzlich gehen wir davon aus, dass eine Festlegung der jeweiligen Anteile generell im Einzelfall in der Hilfeplanung festgehalten wird.

Die von der Arbeitsgruppe erarbeiteten Anforderungen zur Qualifizierung und Anleitung der Hilfskräfte durch Fachpersonal halten wir im Einzelfall für nachvollziehbar und angemessen.

Die LAGfAD hält es für erforderlich, dass auch Kriterien zur Abgrenzung der kompensatorischen und fachlichen Assistenzleistungen gebildet werden, auch wenn im Einzelfall eine Trennung durchaus schwierig sein kann. Dies insbesondere, um den handelnden Personen im Zusammenhang mit der Hilfeplanung und Bedarfsermittlung Orientierung zu bieten und möglichst Interessenskonflikte zwischen Leistungsträger und Leistungsberechtigten zu vermeiden.

Zu den Ergebnissen der Arbeitsgruppe 3 „Expertengruppe Finanzierung" möchten wir wie folgt Stellung beziehen:

Die LAGfAD sieht die Bildung von Korridoren, letztlich eine Pauschalierung von Leistungen, kritisch. Grundsätzlich sollte ein individuell ermittelter Hilfebedarf auch entsprechend zeitlich individuell abgebildet werden. In anderen Leistungsbereichen (z.B. Pflegeassistenz, Schulintegration) ist das üblich. Der LWV Hessen, der dieses Korridorverfahren aus stationär geprägten Gruppenschlüsseln abgeleitet und im Zuge der HAG Änderung in 2005 für das Betreute Wohnen eingeführt hat, wird vermutlich nicht davon abzubringen sein. Wir möchten deshalb auf einen wesentlichen Knackpunkt hinweisen, der auch im jetzigen Verfahren für Dienste im Betreuten Wohnen erhebliche Finanzierungsschwierigkeiten bedeutet.

Die zunächst statische Abweichung vom Mittelwert entwickelt sich ab der LG 5 progressiv, so dass in der LG 8 bereits bis zu wöchentlich 2,5 Stunden über dem vergüteten Mittelwert geleistet werden. Aus unserer Sicht wird diese progressive Abweichung sich kaum in Vergütungsvereinbarungen abbilden lassen. Gerade für Leistungsberechtigte mit hohem Hilfebedarf werden dadurch Hürden in Hinblick auf Verselbständigung aufgebaut, da viele Leistungsanbieter sich dreimal überlegen werden, ob und wie häufig sie dieses finanzielle Wagnis eingehen wollen. Die LAG hält es daher für erforderlich, sollte eine Leistungsgruppenbildung unvermeidbar sein, hier deutlich kleinteiliger vorzugehen.

Die Angleichung der Jahresarbeitsstunden in ambulanten Bereichen und besonderen Wohnformen halten wir für problematisch, ebenso die „wohnformunabhängige" Preisgestaltung. Jenseits des Vorschlags der Anerkennung von Fahrtzeiten als direkte Leistungen, gibt es erhebliche Unterschiede in Organisations- und Personalaufwand zwischen einer 1:1 Unterstützungsmaßnahme und im Kontext besonderer Wohnformen. Befürchtete Quersubventionierungen lassen sich eher durch Abgrenzungs- und Prüfkriterien vermeiden, als durch Angleichung nach dem Rasenmäherprinzip.

Auch wenn die Einbeziehung der Fahrzeiten in die personenbezogenen Leistungen grundsätzlich zu begrüßen ist, so kann dies nicht ausschließlich zu Lasten der Zeiten für die nichtpersonenbezogenen Leistungen erfolgen, da dann zumindest im ambulanten Bereich nicht mehr ausreichend Zeit für qualitätssichernde Maßnahmen (Teambesprechungen, Supervision, Fortbildung etc.) zur Verfügung stünde. Und auch die grundsätzlich zu begrüßende Einbeziehung von fachlicher Beratung und Begleitung (z.B. sozialpädagogischer Fachdienst, Gebärdenschulung, Unterstützte Kommunikation etc.) in die nichtpersonenbezogenen Leistungen macht ohne gleichzeitige Hinterlegung mit Zeit keinen Sinn.

Die Zuordnung des Punktes „Zusammenarbeit mit Beteiligten im Einzelfall sowie Leistungsanbietern im Sozialraum (nachbarschaftliches Umfeld, Selbsthilfe, Gemeindearbeit, Vereine etc.)" zu nicht personenbezogenen Leistungen in der Beschreibung der mittelbaren und unmittelbaren Leistungen ist für uns nicht nachvollziehbar. In ambulanten Bezügen sind diese vermittelnden Tätigkeiten in vielen Fällen maßgeblich, um eine zufriedenstellende Lebensqualität zu erreichen. Die ambulante Arbeit außerhalb besonderer Wohnformen erfolgt überwiegend, wenn nicht sogar in gewisser Weise immer, im Kontext des individuellen Sozialraums der Klientinnen und Klienten.

Aus unserer Sicht sollten, bevor Leistungseinheiten festgezurrt werden, konkrete, nachvollziehbare Kalkulationsgrundlagen geschaffen werden, die den Mitgliedsorganisationen vor Abschluss zur Diskussion zur Verfügung gestellt werden sollten. Es gibt geeignete Kalkulationsvorlagen aus Kommunen und Landkreisen. Der LWV Hessen hat bisher in Einzelverhandlungen stets auf Schlüsselungen und Erfahrungen aus Zeiten der Vollfinanzierung zurückgegriffen, das ist nicht mehr zeitgemäß.

Uns ist bewusst, dass die Abstimmung mit allen Beteiligten für die Gestaltung neuer Rahmenverträge eine große Herausforderung für alle Akteure darstellt. Umso wichtiger finden wir daher eine transparente Beteiligung aller Mitgliedsorganisationen in der Fachgruppe Behindertenhilfe, insbesondere auch die Einbeziehung der Mitgliedsorganisationen, die durch die Landesarbeitsgemeinschaft der freien Ambulanten Dienste e.V. vertreten werden.

Die neu geschaffenen rechtlichen Rahmenbedingungen des BTHG betonen die Ausrichtung der Hilfen an der ambulanten Leistungserbringung, stationäre Strukturen sollen überwunden werden. Daher hält es die LAG für absolut erforderlich, dass der Rahmenvertrag sich konsequent an ambulanten Bedingungen und Maßstäben zur Leistungserbringung orientiert.

Wir freuen uns auf ein konstruktives Gespräch zu den von uns genannten Themen.

Kontakt

Fabian Lerbs

Am Erlengraben 12a
35037 Marburg

Tel.: 0176 2146 1844

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